Federgrab – Ein Thriller von Samuel Bjørk (Kommissar Munch, Teil 2)
Der Biologe Tom Petterson staunt nicht schlecht.
Eigentlich wollte er auf seinem Streifzug in einem Park nahe Oslo eine seltene Pflanze samt seltenen Käfer finden. Stattdessen entdeckt er dort die Leiche eines Mädchens. Die Tote ist sehr mager, liegt gebettet auf einer Menge von Federn und hält eine weiße Lilie in ihrem Mund.
Das Team um Kommissar Munch und Mia Krüger gehen bei diesem Anblick von einem Ritualmord aus. Aber warum ist die Tote so dünn und warum fand sich lediglich Vogelfutter in ihrem Magen? Warum verschwand sie aus einem Jugendheim?
Den entscheidenden Hinweis erhält das Team von einem Hacker, der ihnen ein beängstigendes Video zuspielt.
Inhalt:
Samuel Bjørk
Samuel Bjørk ist das Pseudonym des norwegischen Autors und Songwriters Frode Sander Øien (Wie spricht man diesen Nachnamen aus?). Er wurde 1969 in Trondheim geboren und lebt nun in Oslo.
Mit dem Thriller „Engelskalt“ (Band 1 rund um die Kommissar-Munch-Truppe) katapultierte er in Rekordzeit auf Platz 1 der internationalen Bestsellerlisten.
Ein dritter Teil aus dieser Reihe ist wohl gerade in Arbeit.
Federgrab – Meine Meinung
Bei dem vorliegenden Thriller fiel mir einmal wieder auf, dass die skandinavischen Kriminalbeamten anscheinend aus einem zusammengewürfelten Haufen von psychischen und physischen Wracks zu bestehen scheinen. Von Bergen über Helsingborg bis Stockholm scheint man an keinen Ermittler zu geraten, der nicht in hohem Maße alkohol-, drogen-, sex- und/oder tablettensüchtig ist. Fast alle schleppen sich mit schweren Kindheitstraumen und desolaten familiären Beziehungen herum.
Und überhaupt macht in den zuständigen Polizeistationen das Borderline-Syndrom die Runde. Es wird nächtelang nicht geschlafen, zum Aufputschen kippt man zwischendurch Unmengen Kaffee und Jägermeister. In den wenigen ruhigen Minuten wird über das tragische Ende zwischenmenschlicher Beziehungen vor rund zehn Jahren lamentiert.
Man sollte Personen, wie Mia, die zudem keinerlei Hilfe akzeptiert, keine Verantwortung für ihre Mitmenschen übertragen. Schon gar nicht sollte man sie in die Nähe von Schusswaffen lassen.
Dennoch kommen die Ermittler letztendlich zum Ziel (wenn auch auf dem Zahnfleisch) und fangen den bösen Mörder. Leider können sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, da sie während ihrer Nachforschungen ein dreiviertel ihres Monatsgehalts versoffen haben.
Hoffentlich passiert mir in meinem nächsten Skandinavien Urlaub nichts Schlimmes, so dass ich dort polizeiliche Unterstützung benötige.
Im Übrigens scheint das (literarische) Suchtverhalten nicht nur ein skandinavisches Problem zu sein und damit ein Klischee über lange, depressive Winternächte zu bedienen. Ich kenne auch keinen einzigen Tatort-Kommissar, der in einigermaßen soliden Verhältnissen lebt. Ich bin mir nicht sicher, warum man heutzutage ein solches Stilmittel einsetzt, denn diese problembehafteten Protagonisten stellen nicht unbedingt einen repräsentativen Querschnitt durch die Bevölkerung dar.
Sollte sich also jemand von euch mit Psychologie oder ähnlichem auskennen (von mir aus auch gerne Freudianer), dann würde mich eine Interpretation sehr interessieren.
Die Schönheit des Ritualmordens
Was mir aber bei dem Thriller Federgrab in Erinnerung bleiben wird, war die Schönheit der Inszenierung oder besser gesagt: Die Schönheit des Ritualmordens.
Ein junges Mädchen auf einem Bett aus Federn mit Lilie und Kerzen, die in Form eines Pentagramms angeordnet sind – dieses Bild hat wirklich was. Das würde sich sogar für eine Opernszene eignen.
Hier hat sich also der Autor reichlich Mühe gegeben. Auch der Hintergrund und die Geschichte des Täters waren interessant, wenn auch ein wenig unglaubwürdig.
Schade, dass das Buch über Seiten hinweg in einer tiefgreifenden Elegie versinkt, bei der ich mir als Mama ständig Sorgen um die Protagonisten machen musste.
Fazit:
An den ersten Band kommt das Federgrab leider nicht mehr ganz heran. Die familiären Verhältnisse und der gesundheitliche Zustand der Ermittler sind wirklich sehr anstrengend und man fragt sich als Leser immer wieder, ob einem das alles überhaupt was angeht.
Zudem ist es für mich nicht plausibel, wenn dermaßen instabile Menschen noch in der Lage sind, neben all ihrer Probleme logisch zu denken und einen verzwickten Mord (Morde) aufklären sollen.
Das ist sehr schade und eine Verschwendung des erzählerischen Talents dieses Autors.
Wem könnte dieses Buch gefallen?
- Psychotherapeuten, die Material für neue Fallszenarien benötigen,
- Pathologen, denen nichts Menschliches mehr fremd ist,
- Liebhaber von ausgefallen dekorierten Mordopfern,
- Krimi- und Thrillersüchtige, die sich alles aus diesem Genre reinpfeifen, was sie finden können – so wie ich.
Wer hätte an diesem Buch keine Freude?
- Eltern von kleinen, jugendlichen oder erwachsenen Kindern,
- frisch geschiedene Väter und Ehemänner,
- Menschen, die Einblick in richtige Polizeiarbeit haben.
Bibliografisches:
- Titel: Federgrab
- Autor: Samuel Bjørk, Gabriele Haefs (Übersetzung)
- Originaltitel: Uglen
- Broschiert: 480 Seiten
- Verlag: Goldmann Verlag (17. Oktober 2016)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3442205255
- Preis (Stand August 2017): 9,99 (Kindle), 12,99 € (Broschiert), 4,53 € (MP3 CD)
- Amazonlink
(Alle Angaben ohne Gewähr)
Zwei auf einen Streich:
Mit dieser Rezension bediene ich gleich zwei Blogaktionen:
- Punkt, Punkt, Punkt – sorry, zum Thema Federn ist mir nichts anderes eingefallen. Außerdem bin ich sowieso gerade dabei, meine alten Rezensionen zu überarbeiten, also passt diese Buchvorstellung ganz gut in meinen “Workflow”
- Daggis Buchchallenge – wie immer erfülle ich auch diesmal wieder eine Aufgabe. Diesmal ist es die Nummer 43: Lese ein Buch, bei dem der / die Protagonisten an einen Ort / Platz / eine Sehenswürdigkeit oder ähnliches gehen, den Du selbst schon besucht hast. Ich war schon zweimal in Oslo und bin mit den Hurtigruten die norwegischen Fjorde entlang gefahren. Das sollte reichen.
Das ist allerdings eine interessante Frage. Zunächst vermutete ich, dass die in Skandinavien einfach zuwenig Sonne abbekommen und die daher von Haus aus schon depressiv sind. Aber irgendwie sind ja auch viele deutsche Ermittler in den Romanen gestört. Vielleicht soll es für den Leser spannender sein. Ich finde allerdings, dass ein guter Krimi oder Thriller auch gut ohne gestörte Ermittler auskommt.
@Pat: Vielleicht ist das so. Vielleicht werden damit die Ermittler auch menschlicher? Aber wenn ich mir anschaue, was die Mia in diesem Roman sich alles einpfeift, da kann ich mich überhaupt nicht mit identifizieren.
LG
Sabienes
Hallo Sabine,
du hast dir als Mutter echt Sorgen um die Progagonisten gemacht und ich grinse gerade sehr fett über diesen Satz ?. Ich kennen den Autor nebst süchtigen Handelde noch nicht. So wie du Band zwei beschreibst, sollte ich mir vielleicht eher den ersten auf den Reader nehmen, oder?
Liebe Grüße
Sandra
@Sandra: Ja … ich mache mir immer Sorgen um die Kinder anderer Leute. ;-)
Band 1 hat mir wesentlich besser gefallen, da könntest du auch die Print-Ausgabe riskieren. Zur Not kannst du das Buch dann ja verkaufen oder verschenken ;-)
LG
Sabienes
Es ist ein wenig die Frage von Ursache und Wirkung, diese psychisch gestörten Ermittler. Die Kriminalbeamten mögen ja alle als Normalos ihre Laufbahn starten. Aber wenn sie über Jahrzehnte nur mit der schlechteste, dunkelsten Seite des menschlichen Daseins konfrontiert sind, dann frisst das halt irgendwann an der eigenen Substanz. Ein Grund dafür, dass normalerweise Ermittler ihre Dezernate wechseln … Damit sie auch in allen anderen Gebieten des Lebens verzweifeln , nicht nur im zwischenmenschlichen *bösartig kicher*
Es gibt sie, die “normalen” Ermittler – allerdings sind sie derzeit nicht modern bei den Schriftstellern. Dass die nicht merken, dass ihre Romane langsam zuuuu dunkel für die Leser werden, ist mir ein Rätsel. So ein Leser identifiziert sich doch zwangsweise durch die gewählte Perspektive mit der Hauptfigur. Und wer will schon ein depressives Alter Ego?
Ach übrigens – ich finde es GUT, wenn Leute mal was ganz anderes bringen beim Thema – das ist Überraschung! Ich mag Überraschungen.
@Fran Hunne: Gute Interpretation, ich schätze, da ist was wahres dran.
Aber mit der Zeit wird man als Leser solchen Protagonisten überdrüssig.
LG
Sabienes
@Fran Hunne: Wieso? So nahe wie diesmal war ich selten am Thema!!!! ;-)
LG
Sabienes
Ein Buch, dieses Buch ist ja nicht massgebend für alle Skandinavier.
Bücher sind ja eh wie so vieles Geschmacksache..
Ich mag seine Bücher nicht, auch wenn ich gerne Kriminal Romane lese.
Aber man kann ja deshalb die Skandinavier nicht alle in einen Topf hauen !
Zitat” “von Haus aus schon depressiv sind.”
so ein Quatsch…Sorry
Ich wohne und lebe In Schweden schon seit 1957.
Norwegen für einen Besuch ja, aber dort leben würde ich nicht mögen.
Hat aber nichts mit dem Buch zu tun ;)
Lieben Gruss
Elke
Sorry war wirklich nicht böse gemeint :)
@Elke: Mir ist es durchaus bewusst, dass mit diesen Schilderungen allein ein Klischee bedient werden soll.
Der Satz „… von Haus aus schon depressiv sind.“ ist rein ironisch zu nehmen und auf gar keinen Fall wörtlich.
Ich war ein paar mal in Skandinavien und schätze Land und Leute sehr.
LG
Sabienes
@Elke: Alles gut.
Ich kann deinen Zorn verstehen, ich wollte aber wirklich nicht despektierlich werden.
LG
Sabienes
Danke liebe Sabiene..
Ich hatte diesen Satz auch ganz allgemein aufgefasst..
Von Zorn war nicht die Rede..*schmunzel*
War nur mal ganz kurz irritiert :)
LG, Elke
@Elke: Schön! Ich werde immer zornig, wenn jemand über uns Bayern lästert! ;-) (“Die trinken immer viel Bier, jodeln ständig und bewerfen sich gegenseitig mit Klößen …”)
LG
Sabienes
Ich steh ja nicht auf Krimis und Thriller, weder in Büchern , noch in Filmen, aber in dem ein oder anderen, den ich dann doch mal schaue, ist mir auch aufgefallen, dass die immer diese Probleme haben. Ich glaube aber, dass sich das geografisch nicht eingrenzen lässt, und auch, dass das gar nicht so arg vom Durchschnitt der Bevölkerung abhebt. Man wundert sich, bzw. weiß man es inzwischen, wie viele Leute alkohol-, drogen-, sex- und/oder tablettensüchtig sind und wunderbar vor anderen verbergen bzw. bestreiten, dass sie abhängig sind. Ich kenne u.a. einige Leute, die jeden Abend eine Flasche Wein leeren und die allesamt leugnen, dass sie ein Alkoholproblem haben. Und Kindheitstraumen und desolate familiäre Beziehungen sind ja nun auch keine großen Ausnahmen. Aber auch das wird la immer gerne von sich gewiesen und spielt sich eher hinter verschlossenen Türen ab. .
Übrigens gibt es, dieses Problem betreffend, neben den Ermittlern noch so eine vergleichsweise ähnlich tickende Berufsgruppe, nämlich Ärzte und Therapeuten. Je mehr ich darüber lese und im Freundes- und Bekanntenkreis höre, desto öfter denke ich: Und die wollen mir was über Gesundheit erzählen? Nehmen selbst Drogen, Psychopharmaka, Alkohol etc.. Nein danke! So ein Ermittler hat vielleicht noch kreative Lösungsansätze wenn er Alkohol getrunken hat :-), aber einem Arzt unter Drogen möchte ich nicht unters Messer geraten.
Ähm jaaa… Jetzt bin ich mal wieder etwas abgeschweift… Du verleitest mich aber auch immer dazu :-) :-)
LG Sabine