Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins … Eine Liebeserklärung

2. Juli 2017 Aus Von Sabiene
Reeperbahn in hamburg

Ein Spaziergang über die Reeperbahn in der Nacht

Bevor ich zu erzählen beginne, muss ich erstmal den Umstand, dass meine Eltern sehr, sehr anständige, ordentliche Leute gewesen sind, deutlich betonen. Denn ansonsten könnte bei euch im Folgenden ein völlig falsches Bild über mein Elternhaus entstehen.
Ich habe ja bereits in diesem Artikel behauptet, dass ich als Kind zwar die Hamburger Reeperbahn kannte, aber nicht das Blankeneser Treppenviertel. Das kommt daher, dass eines meiner liebsten Kindheitserinnerungen die Autofahrten mit meinem Vater über die Reeperbahn bei Nacht (oder in der Dunkelheit) sind.
Damals saß ich auf dem Rücksitz unseres Ford Taunus und bestaunte die nächtliche Glitzerwelt an den Gebäuden, hinter denen irgendwie die Sünde wohnte. Das war sehr verrucht und ein bisschen große weite Welt.
Oder so.
Genau wusste ich das damals noch nicht.

Ich musste aber auch immer sehr gut aufpassen. Denn wenn mein Vater „Jetzt!“ rief, passierten wir in eine besonders „gefährliche Gegend“. Ich war dann dafür verantwortlich, ganz schnell links und rechts die Türknöpfe nach unten zu drücken und spürte dabei jedes Mal einen deutlichen, aber höchst erfreulichen Nervenkitzel.
Für diesen Spaß bin ich meinem Vater heute noch sehr dankbar.

Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins …

Die etwa 930 Meter Reeperbahn, auf der früher Schiffstaue „gereepert“, also gedreht wurden, lag im 19. Jahrhundert genau zwischen den Städten Hamburg und Altona. Dort siedelte sich alles an, was man in beiden Städten nicht haben wollte: Gauner, Betrüger, Spielleute, liderliche Weibsbilder und vieles mehr. Dieses Business profitierte natürlich auch besonders von der Lage am Hafen und den Seeleuten aus aller Welt, die nicht nur nachts um halb Eins ihr meist käufliches Vergnügen suchten.

 … ob du’n Mädel hast oder auch keins, …

So lange noch was von der Heuer übrig war, wird das mit dem Mädel kein großes Problem gewesen sein. Diese gab es früher (und auch jetzt noch) rund um die Reeperbahn an jeder besseren Ecke, der Rest war Verhandlungssache.
Wer nicht lange suchen wollte, ging gleich in die Herbertstraße, wo die Damen von ihren Kunden erst mal in Schaufenstern bewundert und begutachtet werden konnten.
Diese Institution gibt es auch heute noch. Die Tore auf beiden Seiten der Straße sind aber eine Erfindung der Nationalsozialisten. Denn eigentlich war damals Prostitution und Striptease ja verboten.

Eigentlich.

… amüsierst du dich, denn das findet sich …

Inzwischen ist das Gewerbe und die ganze Unter- und Halbwelt weitergezogen und tagt in anderen Stadteilen. Dort geht es mittlerweile viel härter zur Sache, als jemals zuvor. Aber mit Sicherheit gehörten die Erzählungen von ehrbaren Ganoven und Puffmüttern mit dem Herz am rechten Fleck ins Reich der Fabelwesen, besungen von einem Hans Albers.
Aber ob die Menschen auf dem Kiez damals ähnlich armseelig leben mussten, wie die 14jährige Kindernutte aus Bulgarien, die nun drogensüchtig am Hansaplatz steht?
Ich bin mir da nicht so sicher.

… Wer noch niemals in lauschiger Nacht einen Reeperbahn-Bummel gemacht …

Amüsieren könnt ihr euch auf der „sündigsten Meile der Welt“ aber immer noch. Wenn ihr euch zwischen Millerntorplatz und Große Freiheit ins Getümmel stürzt, werdet ihr euch bis weit nach „nachts um halb eins“ nicht langweilen. Es ist eher wahrscheinlich, dass ihr von den unendlich vielen Junggessellen-Abschieden, Koreaner, Italienern, Amerikaner, Engländern und Schwaben überrollt fühlt.

Wir haben damals im St. Pauli Fanshop Zuflucht von den Touristenmassen gesucht. Die Filiale auf der Reeperbahn hat freitags und samstags bis 23.00 Uhr geöffnet.  Damals spielte dort eine Band namens „Millerntor-Brigade“ schottische und irische Partisanenlieder. Und das war so eine solche Stimmung, das kann man sich gar nicht vorstellen.

Millerntor Brigade im St. Pauli Fanshop

Die Jungs von der Millerntor Brigade singen Lieder, für die man in einem englischen Fußballstadion verhaftet werden würde.

Man muss kein Fußballfan sein, um diesen Fanshop zu mögen. Und mit Sicherheit findet ihr dort ein schöneres Mitbringsel, als im Waffenladen oder im Sexshop ein paar Häuser weiter.

Wir sind im letzten Jahr auch über etliche geführte Touren gestolpert, den Kieztouren. Und sowas würde ich bei meinem nächsten Hamburg-Besuch einmal wahnsinnig gerne buchen.

… ist ein armer Wicht …

Einladung zu einem Bummel über die sündigste Meile der Welt - die Reeperbahn!

Lichterspiele am Spielbudenplatz

Seit den 70er und 80er Jahren hat sich das Viertel rund um die Reeperbahn ziemlich verändert. Haben in den 60ern die Beatles noch im Starclub ein kümmerliches Dasein gefristet, kann man sich heute im ganzen Viertel Musicals in weltbester Inszenierung gönnen. 
Auch wenn dieser ganze Kiez nun ziemlich weichgespült und städtemarketingmäßig durchgestylt wurde, handelt es sich keineswegs um ein ungefährliches Pflaster.
Wie überall, wo viele Menschen, gepaart mit Frohsinn und Alkohol zusammenkommen, gibt es Diebe, sexuelle Übergriffe und so weiter.
Und sturzbesoffene Partygänger in der U-Bahn sind auch kein wahres Vergnügen.
Deswegen solltet ihr auch heutzutage auf der Reeperbahn nachts um halb eins gut auf euer Zeug aufpassen.
Und alleinreisende Mädels gehören um diese Zeit immer ins Taxi und nicht in die öffentlichen Verkehrsmittel.

Nachtrag aus dem Jahr 2018

Seit März 2018 ist die Reeperbahn, die “alte Gangsterbraut” um eine Attraktion reicher. Ich spreche von der Panik City, der Udo Lindenberg Erlebniswelt. Von diesem wirklich sehenswerten Spektakel könnt ihr in diesem Artikel mehr lesen.

Panik City Udo Lindenberg

Alle Fotos: Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins … Eine Liebeserklärung ©sabienes.de
Text: Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins … Eine Liebeserklärung ©sabienes.de
Zusammenfassung:
Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins … Eine Liebeserklärung
Titel
Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins … Eine Liebeserklärung
Beschreibung
Die Reeperbahn in Hamburg hat sich von der sündigsten Meile der Welt zum Oktoberfest des Nordens gewandelt, ist aber immer noch interessant
Autor